In­ter­view: "Wie gibt man ei­gent­lich zehn Mil­li­ar­den Eu­ro aus, Herr Lau­sitz­be­auf­trag­ter?"



Dr. Klaus Freytag

Dr. Klaus Freytag,

Lausitzkoordinator des Ministerpräsidenten, im Gespräch über seine Aufgaben, Brüche, Chancen und Traditionen. Mit seiner persönlichen West-Ost-Biographie hat er eine besondere Sicht auf den Wandel, der die Region bestimmt. 


BNetzA: Herr Dr. Freytag, wie begrüßt man sich in der Lausitz auf Sorbisch?
Freytag: Dobry dźeń! Das Sorbische ist eng verwandt mit dem Polnischen. So wie der Rheinländer immer auch ein bisschen Niederländisch oder Belgisch kann, hat man in der Lausitz auch ein paar sorbische Floskeln im Handgepäck.

BNetzA: Sie haben viel Zeit im Rheinland verbracht, bevor Sie in die Lausitz gekommen sind. Beide Regionen sind durch den Kohleabbau verbunden – war es unausweichlich, dass Sie zum Lausitzbeauftragten ernannt wurden?
Freytag: Ich bin studierter Bergmann. Und meine Kenntnis über den Bergbau war bestimmt mit ausschlaggebend. Außerdem war ich hier in Cottbus über zehn Jahre Präsident der Bergbaubehörde (Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg, Anm. d. Red.) und vier Jahre Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium. Damit habe ich das wesentliche „Handwerkzeug“ für diese herausfordernde Aufgabe mitgebracht.

BNetzA: Können Sie uns erklären, was genau Ihre Aufgaben sind? Was macht ein Lausitzbeauftragter?
Freytag: Wir sind ein kleines Team von sieben Leuten. Bei uns laufen alle Fäden des Strukturprozesses zusammen. Wir arbeiten nicht operativ, also nicht vor Ort an einem konkreten Projekt. Unsere Aufgabe ist zu steuern, zu koordinieren, zu berichten. Mit dem Strukturwandel kommt viel Geld in die Region, das abgerechnet werden muss. Da haben wir Berichtspflichten gegenüber der EU-Kommission, dem Bund und dem Land Brandenburg. Das wird zukünftig eine Kernaufgabe werden. Wir schreiben aber auch strategische Entwicklungskonzepte und entwickeln sie weiter. Die Spinne im Netz – das wäre ein passendes Bild für das, was wir sind.

BNetzA: Sie haben es Strukturprozess genannt, Viele sagen Strukturwandel dazu. Das ist ein nüchterner Begriff – woran merken die Menschen in der Lausitz, dass sich ihre Heimat verändert?
Freytag: Die Menschen hier haben in den 90er Jahren mit der Wiedervereinigung den großen Strukturbruch erlebt. Sie standen an persönlichen, schicksalhaften Kanten. Viele verloren Ihren Arbeitsplatz. Mitte der 90er lag die Arbeitslosenquote in manchen Bereichen bei vierzig, fünfzig Prozent. Die Leute kennen sich also aus mit Brüchen und Veränderungen. Jetzt sehen sie an den Beschlüssen zum Kohleausstieg, dass hier eine über 250jährige Tradition zu Ende geht. Sie nehmen mit großer Sensibilität vor allem die politische Debatte wahr, die um die Kohle geführt wird.

BNetzA: Welche Strukturhilfen gibt es für die Lausitz, um den Wandlungsprozess sinnvoll gestalten zu können? Und wie werden die Maßnahmen gesteuert?
Freytag: Nach der letzten Bundestagswahl 2018 war eine zentrale Frage für die neue Regierung: wie können wir die EU-Klimaziele bis 2050 erreichen? Fest stand, dass die konventionelle Stromerzeugung als großer Emittent einen wichtigen Beitrag in diesem Kontext liefern kann. So wurde die so genannte „Kohlekommission“ eingesetzt (Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, Anm. d. Red.). Deren Bericht mündete im Strukturstärkungsgesetz. Es sichert den betroffenen Regionen Unterstützung auf zwei Wegen: einmal direkt, das heißt zum Beispiel durch die Ansiedlung von Behörden oder Investitionen des Bundes in zum Beispiel Infrastruktur. Gemeint sind hier vor allem Schiene und Straße. Und dann aber auch durch Finanzhilfen, die wir dann treuhänderisch für Projekte ausgeben können. Das kann wirtschaftsnahe Infrastruktur sein, aber auch Kultur oder Daseinsvorsorge. Im Grunde können die Regionen nicht direkt Unternehmen fördern, sondern die Rahmenbedingungen für den Erhalt oder die Neuansiedlung verbessern. Für die brandenburgische Lausitz sprechen wir von gut zehn Milliarden Euro. Rund 6,7 Milliarden Euro davon gehen in Projekte des Bundes: Gleise, Bundestraßen oder Forschung und Innovation. Die restlichen 3,6 Milliarden Euro können wir hier auf kommunaler Ebene für Investitionen einsetzen.

BNetzA: Das sind große Summen. Wie gehen Sie bei der Verteilung vor, wie wählen Sie aus?
Freytag: Es klingt erstmal nach viel Geld. Aber nehmen Sie mal nur eine Schienenverbindung, egal wo in Deutschland, da rufen Sie immer gleich dreistellige Millionenbeträge auf. Das Geld fließt einem nur so durch die Finger. Die größten Summen gehen in Projekten wie der Uniklinik Cottbus, dem Bahnwerk und dem Ausbau der Schnellverbindung Cottbus-Berlin. Bei dem Geld für die kommunalen Projekte macht der Lausitzbeauftragte natürlich nicht den Daumen hoch oder runter, da hätten die Rechnungshöfe aber auch was dagegen. Nicht ich entscheide, sondern die Wirtschaftsregion Lausitz, eine von den Landkreisen getragene GmbH. Die hat, gemäß unserem Programm, Werkstätten eingesetzt. Das ist ein intensiver Bottom-up-Prozess, in dem die Kommunen oder andere berechtigte Antragsteller ihre Ideen einbringen können. In den Werkstätten diskutieren die Teilnehmer dann über das Projekt. Gemeinsam qualifizieren sie den Antrag weiter und, falls erforderlich, suchen über ein Förderlotsensystem auch nach anderen Unterstützungsmöglichkeiten. Nach diesem Durchlauf kommt das Projekt mit einem Votum zurück zu uns. Wir stellen dann das Vorhaben in dem Kreis der Landesministerien in der sogenannten IMAG Lausitz, einer interministerielle Arbeitsgruppe in Potsdam (Landeshauptstadt, Anm. d. Red.) vor, wo das Projekt dann abschließend votiert wird. Der Prozess der Strukturentwicklung läuft also „von unten nach oben“ aus und von der Region bis zu den Ministerien in Potsdam.

BNetzA: Ich kann mir vorstellen, dass die Menschen trotz des Gesetzes zur Strukturstärkung Sorge haben angesichts des Wandels. Wie können Sie den Lausitzerinnen und Lausitzern Mut machen?
Freytag: Indem man den Dialog mit den Menschen sucht und Sie in die Veränderung aktiv einbezieht – deshalb unsere Strategie der Strukturentwicklung von „unten“. Oder indem man es ähnlich macht wie Sie als Bundesnetzagentur. Sie sagen nicht nur, wir kommen nach Cottbus und machen mal eine Behörde auf. Nein, Sie gehen auf die Region zu und vermitteln, dass Sie Teil der Veränderung sind. Die Botschaft ist: wir wollen das mit Euch gemeinsam machen. Die Leute sollen sich für die Sache begeistern. Das geht nur, wenn man sich auch zur Region bekennt. Also: Nicht zum Wochenend-Heimfahrer werden, sondern wirklich hier sein und in der Lausitz leben. Es muss glaubhaft sein, dass wir die neuen Jobs und damit die Zukunft in die Lausitz bringen wollen. Natürlich ist das eine Veränderung, aber eine positive. Wir stehen noch am Anfang. Bis 2038 ist es ja noch ein Stück des Weges. Wir haben gute Chancen, die Möglichkeiten, die in der Veränderung liegen, näher an die Menschen heranzutragen. Ich bin sicher, dass wir die Stimmung erzeugen können, die wir brauchen.

BNetzA: Die Lausitz wird sich durch die Umstrukturierung stark verändern. Die Rahmenbedingungen ändern sich, das Arbeitsumfeld ändert sich – aber die Menschen bleiben doch dieselben. Welche Maßnahmen können dabei helfen, die einmalige kulturelle Identität der Lausitz zu bewahren und zu vermitteln?
Freytag: Zu Ost-Zeiten gab es den Spruch: „Ich bin Bergmann, wer ist mehr?“ Unheimlich viele Menschen, gerade auch weibliche Arbeiterinnen, waren im Tagebau beschäftigt. Im Rheinischen Revier war das eine reine Männerdomäne. In der Lausitz haben Frauen und Männer im Bergwerk gearbeitet. Das hat viele Familien geprägt. Die Menschen sind stolz auf Ihre über 250jährige Bergbautradition. Wenn irgendwann der letzte Kohlezug aus dem Tagebau kommt, soll dies hier in meiner Lausitz auch unter Beisein des Bundespräsidenten erfolgen. So war es auch als mit dem Bergwerk Prosper-Haniel die letzte Zeche im Ruhrgebiet schloss.
Wir haben in den letzten Jahren viele Orte geschaffen, die heute eine große touristische Anziehungskraft haben und die gerade die industriekulturelle Identität der Lausitz zeigen. Stahlgiganten wie die Förderbrücke F60, die als Bergwerksmuseum am Bergheider See (in der Nähe von Finsterwalde, Anm. d. Red.) die Landschaft prägen und zehntausende Gäste jedes Jahr anziehen. Die können dort den Bergbau fühlen, erleben und somit nachvollziehen. Auch um andere Traditionen kümmern wir uns, zum Beispiel die sorbische Sprache und Kultur. Wer zum ersten Mal in die Niederlausitz kommt, fragt sich manchmal, ob er schon in Polen ist. Die Verkehrsschilder und Bahnhofsanzeigen sind zweisprachig. Das gehört hier zur kulturellen Identität. Diese Kultur und Identität geht weit über folkloristische Aspekte hinaus. Es ist eine gelebte Kultur, die hier das Leben bereichert. Man lebt gemeinsam die sorbischen Traditionen wie das Zampern oder die Vogelhochzeit.

BNetzA: Sind diese Traditionen auind diese Traditionen auch offen für die ch offen für die Menschen, die neu in die Lausitz ziehen?
Freytag: Unsere Familie lebt seit knapp 30 Jahren in der Lausitz, meine Frau kommt aus dem Rheinland, ich aus Westfalen. Unsere vier Söhne sind in der Lausitz geboren und somit echte Brandenburger. Unsere Erfahrung ist: Wenn man selber offen ist, wird man mit offenen Armen empfangen. Wir leben in einem Dorf ganz in der Nähe von Cottbus. Da gibt es die Feuerwehr, den Sportverein und den Schützenverein, genauso wie in NRW. Es wird schon erwartet, dass man sich ein bisschen engagiert. Wie sehr man dann akzeptiert und integriert ist, zeigt sich beim Plausch mit dem Nachbarn über den Gartenzaun. Und wer zwischendurch etwas Großstadt oder sogar Hauptstadtluft braucht, kann ja jederzeit nach Dresden, Leipzig oder Berlin fahren. Auch die Wege nach Breslau oder in die tschechische Hauptstadt Prag sind für einen Tagesausflug machbar. Aber etwas mehr „Weltoffenheit“ wünsche ich mir schon noch.

BNetzA: Welche Rolle spielen Akteure wie die Universität, die Deutsche Bahn und auch die Bundesnetzagentur für die Region?
Freytag: Genau das sind die wichtigen Akteure, auf die wir setzen und mit denen wir das spannende Projekt der Strukturentwicklung angehen wollen. Die Universität liefert die Start-ups, Unternehmen mit neuen spannenden Produkten. Die Forschung an der Universität ist der Nährboden für Neues. Schauen wir auf die Ruhr-Universität in Bochum, die ja auch ein Kind des Strukturwandels ist. Neben der Hauptverwaltung der Universität standen die Außenschachtanlagen von Kohlezechen. Für die neuen Industriearbeitsplätze siedelte sich Opel an. Und hier bei uns in der Lausitz läuft es genauso. Wir verwenden sehr viel Geld aus den Strukturhilfen des Bundes für Forschung und Innovation, so beispielhaft für das Thema des hybridelektrischen Fliegens, den Wasserstofftechnologien oder der neuen vernetzten digitalen Energiewelt. Großer Hoffnungsträger ist der Aufbau einer Universitätsmedizin an der BTU-Cottbus. Wenn die Kinder der neuen Mitarbeitenden der Bundesnetzagentur Medizin studieren wollen, können sie das hier in Cottbus tun. Natürlich brauchen wir nicht nur Arbeitsplätze für Akademiker*innen. Wir denken auch an die Jobs in der Industrie. Hier ist die Deutsche Bahn wichtiger Partner. Die neueste Generation des ICE soll hier in Cottbus gewartet werden. Wenn Sie schnell einheimisch werden wollen, sprechen Sie am besten vom Reichsbahnausbesserungswerk, kurz RAW, und nicht von der Deutschen Bahn. Dann sind Sie ein Cottbus-Kenner. Das RAW wird mit dieser Investition einer der großen DB Standorte in Deutschland. Die dritte Säule ist die öffentliche Verwaltung. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat 5000 Arbeitsplätze für die Kohlereviere, insbesondere in Ostdeutschland, zugesagt. In dem mittlerweile über 30 Jahre alten Einigungsvertrag stehen viele solcher Versprechen und Zusagen, die leider nicht eingelöst wurden. Deshalb haben wir uns gefreut, dass sich der Minister daran erinnert hat. Aus den Geschäftsbereichen des Umwelt-, Bau- und Wirtschaftsministeriums entstehen jetzt hier neue Arbeitsplätze. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Herr Homann, hat frühzeitig mit meiner Ministerin und mit mir telefoniert und die feste Absicht der Agentur, nach Cottbus zu kommen, untermauert. Die BNetzA ist jetzt „an der Spitze der Bewegung“. Das freut uns sehr. Wir brauchen eine starke Bundesnetzagentur, um Strukturwandel, Klimawandel, die Energiewende mit der Sektorkopplung hinzubekommen. Wir haben dann zwei maßgebliche Akteure hier in Cottbus: auf der Umsetzungsebene die Bundesnetzagentur und die Uni, die dazu forscht. Das wird eine gute Sache.

BNetzA: Sie haben schon viel von der Welt gesehen, waren sogar für die UN in Pakistan und Indien. Was gefällt Ihnen an der Lausitz?
Freytag: Die Lausitz ist für meine Familie und mich zur Heimat geworden. Auf die Frage, was gefällt Ihnen an Ihrer Heimat, muss ich einfach sagen: alles. Wir fühlen uns wohl. Wenn ich dennoch einzelne Dinge nennen soll, dann ist es zuerst die gelungene Transformation der Bergbaulandschaft, die die Lausitzerinnen und Lausitzer in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen haben. Meine rheinischen Freunde träumen vom großen Hambacher See, der irgendwann in 30 bis 40 Jahren voll ist. Unsere Seen sind fertig. Da können Sie im Lausitzer Seenland Boot fahren, baden, chillen. Woanders muss man sich ins Auto setzen, bevor man so richtig die Seele baumeln lassen kann. Hier fahren Sie mit dem Fahrrad in den Spreewald. Dann nehmen Sie Ihr Kanu und paddeln durch das UNESCO Biosphärenreservat, ohne jemanden zu treffen. Wenn Sie internationales Flair haben wollen, fahren Sie nach Berlin, Breslau, Dresden oder Prag. Wenn Sie also Bewerber für die neuen Stellen haben, die noch unsicher sind, schicken Sie sie einfach vorbei und wir zeigen Ihnen in welch toller Region Sie arbeiten dürfen. Wer Eigentum schaffen will und von den Preisen in München, Bonn oder Frankfurt frustriert ist, der soll herkommen. Die Lausitzer Scholle beginnt bei 700 Quadratmetern, mit etwas Glück auch mit Zugang zur Spree. Familien können hier zwischen vielen verschiedenen Schulen und Kindergärten wählen. Im Westen glaubt einem das keiner.

BNetzA: Sie scheinen der richtige Mann für den Job zu sein. Ihre Begeisterung kommt an. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Herr Freytag.

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