Interview mit Holger Kelch, Oberbürgermeister von Cottbus



Der Oberbürgermeister von Cottbus, Holger Kelch (CDU), im BNetzA-Gespräch über historische Umbrüche, brummende Baustellen, Energien der Zukunft – und die überraschenden Seiten der Stadt.

BNetzA: Rheinländer*innen unterstellt man einen gewissen Frohsinn, Norddeutschen Verlässlichkeit, Menschen aus Schwaben Fleiß. Wie würden Sie jemandem die Mentalität der Cottbuser beschreiben, der noch nie dort war?

Holger Kelch: Die Cottbuser sind von Zurückhaltung und Reserviertheit geprägt. Sie sind freundlich, aber was man spürt, ist die Einstellung: Lieber nicht so viel reden, sondern lieber machen. Und dann gibt es noch ein Phänomen, das in der ganzen Lausitz verbreitet ist: Wenn nicht gemeckert wird, ist schon genug gelobt. Daran muss man sich gewöhnen. Und dann merkt man, dass das nicht böse ist, sondern einfach die Natur der Menschen.

BNetzA: Machen ist ein gutes Stichwort. Die Stadt Cottbus und die ganze Region steckt in einem immensen Strukturwandel, der vor allem durch das Ende der Kohleförderung gekennzeichnet ist. Sie sind gebürtiger Lausitzer. Woran merken Sie die Veränderungen besonders?

Holger Kelch: Ich habe nicht nur den Strukturwandel seit 30 Jahren vor Augen, sondern bin selbst ein Kind des Tagebaus. Nach dem harten Schnitt durch die Wende hatte ich das Glück, hier in der Region bleiben zu können, weil ich mich neu orientiert und Arbeit gefunden habe. Es gab damals viele Arbeitslose, viele junge Menschen sind weggezogen. In den vergangenen Jahren hat sich aber viel verändert. Es werden sehr viele Fachkräfte gesucht, im Handwerk, in der Wirtschaft und auch in der Verwaltung. Dabei merken wir, dass wir auf Zuwanderung angewiesen sind. Wir stecken viel Energie in die Qualifizierung von Menschen mit Migrationshintergrund. Das macht uns aber auch internationaler. An unserer Universität sind über 25 Prozent Studierende aus dem Ausland immatrikuliert. Daran merkt man, dass Cottbus im Herzen viel offener ist als Manche uns zutrauen. Das sind die gesellschaftlichen Veränderungen. Äußerlich sieht man vor allem, dass sich viele Baukräne drehen. Als Beispiele für große Bauprojekte nenne ich das Instandsetzungswerk der Deutschen Bahn AG, wo die neue Wartungsstrecke für den ICE 4 errichtet wird; am Unigelände werden Baugrundstücke freigemacht. Auch die Nachfrage für unseren stadteigenen Industrie- und Technologiepark steigt stark. Wir sehen einfach, dass es läuft.

BNetzA: Vor 30 Jahren haben Sie mit der Wiedervereinigung einen riesigen Umbruch erlebt. Sie sind also erfahren mit Veränderungen. Was können Sie aus der Vergangenheit lernen, um den aktuellen Wandel gelingen zu lassen?

Holger Kelch: Viele Menschen hier tragen diese Erfahrung noch in sich. Deshalb ist es sehr wichtig, ihnen zu sagen, dass uns wieder ein Wandel bevorsteht. Aber dieser hier wird anders ablaufen. Wir spüren eine bundesweite Unterstützung, die wir Anfang der 90er Jahre vermisst haben. Zum Beispiel wird der neue Standort der Bundesnetzagentur eine Stärkung des Standorts Cottbus sein. Da kommen Arbeitsplätze außerhalb der Industrie, die eine andere Ausrichtung haben. Damit geben wir den Menschen Selbstvertrauen und letztlich Zukunftsvisionen. Sie sollen sehen, dass gehandelt, statt nur geredet wird. So wie die Lausitzer es mögen. Ich bin da zuversichtlich, weil bisher alle Zusagen aus den Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt eingehalten wurden.

BNetzA: Haben Sie das Gefühl, dass die Unterstützung von Bund und Land von selber kommt? Denken alle mit an die Lausitz oder müssen Sie das manchmal laut einfordern?

Holger Kelch: Beides ist richtig. Mit den gesetzlichen Grundlagen haben wir die Zusage, dass die Kohleregionen der Bundesrepublik nicht vergessen werden. Aber wir müssen auch immer wieder unseren Standort ins Bewusstsein rücken. Da müssen wir lauter werden. Diese Verpflichtung sehe ich für die Stadt Cottbus. Wir brauchen mehr Marketing, um die Vorzüge von Stadt und Region deutlich zu machen. Ich denke da an unser KiTa-Angebot, unsere vielfältige Schullandschaft, unsere breit angelegte Kulturlandschaft. Ähnlich große Städte in Westdeutschland verfügen nicht über ein Staatstheater oder ein erstklassiges Orchester und auch nicht über ein Kinder- und Jugendtheater. Auch unsere freie Künstlerszene kann sich sehen lassen. Das müssen wir mehr nach vorne stellen. Dann fällt es den Verantwortlichen in der Politik auf und sie erkennen, dass hier etwas wächst – dass es sich lohnt, hier Institutionen anzusiedeln. Ja, wir fordern etwas. Aber wir haben auch viel zu bieten und wollen viel leisten.

BNetzA: Sie haben einige Projekte genannt, die Cottbus nach vorne bringen. Ich fasse noch mal zusammen, wo es überall brummt: neue Forschungszentren sollen entstehen, vielleicht eine Uni-Klinik, ein neues Bahn-Werk. Auch die Bundesnetzagentur wird neben dem Bundesamt für Strahlenschutz seine Standortpräsenz ausbauen. Das schafft wichtige Arbeitsplätze und wird auch viele neue Menschen in die Stadt ziehen. Wie muss die Stadt darauf reagieren?

Holger Kelch: Wir brauchen Wohnraum. In den vergangenen Jahren gab es einen starken Bauboom. Gerade in der Innenstadt wurde viel alter Bestand renoviert und saniert, das führte zu einer Verdichtung. Jetzt brauchen wir vor allem Bauland für all die bauwilligen Neubürger, die wir erwarten. Viele suchen höherwertigen Wohnraum, der über Wohnungsgesellschaften oder private Träger angeboten werden muss. Wir führen gerade eine intensive Diskussion über die Neunutzung des Flächennutzungsplanes der Stadt Cottbus. Die Frage lautet: Wie können wir mehr Bauland in attraktiven Lagen generieren? Der Cottbuser Ostsee, einer der größten Binnenseen in Deutschland, hat einen hohen Freizeitwert. Es wäre also sinnvoll, direkt am See neue Bauflächen auszuzeichnen. Außerdem ist mir wichtig, das soziale Gefüge der Stadt im Auge zu behalten. Sonst haben wir am einen Ende der Stadt die exklusiven Wohnanlagen und am anderen Ende verslumte Stadtteile. Cottbus ist bekannt für einen ausgewogenen Mix an sozialen Milieus; das wollen wir beibehalten.
Ein anderer wichtiger Punkt, bei dem ich regelmäßig laut werde, ist eine bessere Bahnanbindung. Die Fahrzeit bis Berlin ist zu lang, sie könnte auf unter eine Stunde reduziert werden. Der Bau läuft aber schon und sollte bis 2027 abgeschlossen sein. Ein höherer Takt würde zusätzlich eine Entlastung für den Berliner Raum bringen. Auch die Bahnstrecken nach Leipzig und Dresden müssen besser ausgebaut werden.

BNetzA: Wie lange dauert denn die Fahrt von Cottbus bis zum neuen Flughafen BER?

Holger Kelch: Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an. Ich kämpfe für eine Anbindung zum neuen Flughafen und auch in die Landeshauptstadt Potsdam. Beides ist nicht vorhanden und wird dringend gebraucht.

BNetzA: Welche Pläne gibt es denn für das ehemalige Tagebaugebiet? Stichwort Rekultivierung.

Holger Kelch: Um Cottbus herum entsteht gerade eine sehr attraktive Seenlandschaft. Der Cottbuser Ostsee gehört dazu. Es ist eine wunderschöne Gegend mit teilweise noch dörflichen Strukturen. Und dort entwickeln wir einen CO2-neutralen Stadtteil, das Ostseequartier. Cottbus orientiert sich baulich ganz neu und ist so etwas wie ein Reallabor für die Verwendung von nachhaltigen Baustoffen. Aus dem Wasser des Ostsees können wir später mit Hilfe einer Wärmepumpe Fernwärme produzieren, mit der bis zu 40 Prozent der Haushalte der Stadt versorgt werden können. Das ist regenerative Energie.

BNetzA: Cottbus ist eine von 50 Modellkommunen, die dabei unterstützt wird, eine Strategie zur Bildung nachhaltiger Entwicklung umzusetzen. Worum geht es da?

Holger Kelch: Das betrifft zum einen die Stadtentwicklung, wie ich sie beschrieben habe. Außerdem spielt der ÖPNV eine große Rolle. Wir haben ein Kompetenznetzwerk Wasserstoff gegründet mit dem Ziel, Busse und Bahnen mit Wasserstoff zu betreiben. Die Stadtwerke sind dabei, aber auch das Unternehmen LEAG, eigentlich ein Bergbaubetreiber. Wir wollen die Elektromobilität weiter voranbringen. Nachhaltige Entwicklung betrifft aber auch die Gesundheitsversorgung. Unser Klinikum ist eines der digitalen Leitkrankenhäuser der Bundesrepublik. Was noch fehlt ist ein Standort, um Mediziner auszubilden. Wir arbeiten daran, auch hier im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden auch die medizinische Versorgung des ländlichen Raums verbessern.
Cottbus ist außerdem eine Smart City. In den Bereichen Bildung, Energie und Gesundheit entwickeln wir gesamtheitliche, nachhaltige Konzepte. Ziel ist, unsere Stadt effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten.

BNetzA: Energie Cottbus heißt der Fußballverein der Stadt. Aber auch bei den Unternehmen und Behörden, die sich hier angesiedelt haben oder sich noch ansiedeln werden, zeigt sich die Nähe zu Energiethemen. Was macht Cottbus zum Energiezentrum?

Holger Kelch: Das Thema Energie findet auf mehreren Ebenen statt. Gerade was den Netzausbau betrifft, haben wir hier eine sehr hohe Kompetenz. Energieerzeugung, fossiler und nachhaltiger Art, spielt als wissenschaftliches Thema an der BTU Senftenberg eine Rolle; aus wirtschaftlicher Perspektive interessiert es unser Energieunternehmen LEAG. Unsere Region ist sehr industriefreundlich. Es wird nicht gleich demonstriert, wenn neue Industrieanlagen geplant werden. Diskussionen gibt es, aber ich beobachte eine grundsätzliche Offenheit gegenüber der Industrie, natürlich unter nachhaltigen und ökologischen Gesichtspunkten. Unsere Energiekompetenzen wollen wir in Zukunft noch viel stärker nutzen und ausbauen.

BNetzA: Das hätte jetzt auch eine Ansprache an mögliche Investoren sein können.

Holger Kelch: So soll es auch verstanden werden.

BNetzA: Welche Synergien können sich durch die neuen Großprojekte und dem Dreiklang aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung für die Stadt ergeben?

Holger Kelch: Der gemeinsame Nenner heißt Arbeit, Arbeit, Arbeit. Gelingt es uns, den Rückgang der Arbeitsplätze im Kohlesektor mit neuen Arbeitsplätzen aufzufangen, schaffen wir wirklich den Umschwung. Dann wird unsere Region nicht mehr von Wegzug geprägt. Die neuen Jobs können einen industriellen Hintergrund haben, sie sollen nachhaltig sein und manche werden ganz neu ausgerichtet sein, wie zum Beispiel solche am neuen Standort der Bundesnetzagentur. Cottbus ist offen für die Welt und freut sich auf den Zuzug vieler Menschen. Leider werden wir immer wieder zurückgeworfen von negativen Vorfällen, über die dann medial berichtet wird. All das Positive, was wir geschaffen haben, geht da manchmal unter. Während der Flüchtlingskrise ab 2015 hat unsere Bürgerschaft sehr viel ehrenamtliches Engagement gezeigt. In der öffentlichen Wahrnehmung wird das verdrängt. Wir stehen hier für eine Welt, die sich verändert und sich öffnet. Das ist ein Prozess, den wir aktiv mitgestalten wollen – mit denen, die schon da sind und mit denen, die noch kommen. Diejenigen, die in der Vergangenheit festhängen und die Zeit am liebsten zurückdrehen wollen, sind in der Minderheit und ändern nichts an unserer Haltung. Wir bauen hier eine Zukunft für die kommenden Generationen.

BNetzA: Sie wünschen sich einen Imagewandel für Ihre Stadt. Wenn über Cottbus berichtet wurde, stand oft die sehr gut organisierte rechte und rechtsradikale Szene im Vordergrund.
Holger Kelch: Ja, wir arbeiten daran, dieses Bild von Cottbus in der Öffentlichkeit zu verändern. Unter meiner Federführung haben wir die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz des Landes Brandenburg neu aktiviert. Gemeinsam und auf rechtsstaatlicher Grundlage bekämpfen wir besonders rechtsextreme Strukturen. Gleichzeitig wollen wir die guten Seiten der Stadt stärker betonen. Die negativen Bilder setzen sich immer leichter in den Köpfen fest; und da setzen wir das Positive entgegen.

BNetzA: Wo sehen Sie Ihre Stadt in 20 Jahren? Was wünschen Sie sich?

Holger Kelch: Ich sehe eine Stadt mit weit über 100 000 Einwohnern, eine Stadt mit vielen jungen neugierigen Menschen, eine klimaneutrale Stadt. Vielleicht sogar mit einer Seilbahn als Höhepunkt, auf jeden Fall aber mit modern entwickelter E-Mobilität und einem ÖPNV, der mit Wasserstoff betrieben wird. Ich wünsche mir eine wunderbare Kulturlandschaft rund um den Cottbuser Ostsee.

BNetzA: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kelch.

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