"Un­se­re Ar­beit hat dem Land Si­cher­heit ge­ge­ben"

Interview mit Präsident Klaus Müller

Klaus Müller

Herr Müller, was für ein Jahr liegt hinter Ihnen – und der ganzen Bundesnetzagentur?
Erstmal bin ich stolz darauf, wie die Kolleginnen und Kollegen dieses letzte Jahr gehandhabt haben. Unser Beitrag zu zig Gesetzen hat seine Spuren hinterlassen. Wir haben zusammen mit THE dazu beigetragen, dass die Gasspeicher gefüllt sind. Die Kollegenschaft in der Treuhänderstelle haben mit SEFE (ehem. Gazprom Germania, Anm. d. Red.) eines der größten Unternehmen in Deutschland stabilisiert und dann auch noch bei Rosneft geholfen. Und trotzdem haben wir nebenbei auch in anderen Themengebieten Fortschritte erzielt. Im Augenblick denke ich schon über den Winter 2023/24 nach, aber mit einem besseren Gefühl.

Wie hat diese Zeit im Ausnahmezustand Sie persönlich verändert? Können Sie noch heizen, ohne an den Füllstand der Gasspeicher zu denken?
In den letzten Monaten habe ich versucht, die Individualisierung und den erhobenen Zeigefinger zu vermeiden. Wir können in unserer Statistik nachvollziehen, dass alle Sektoren gespart haben – unterschiedlich und temperaturabhängig. Aber ja, die Diskussion bei uns zu Hause darüber, wie warm oder kalt welche Zimmer sein müssen, hat uns auch den ganzen Winter über begleitet. In Chatgruppen mit meinen Freunden ging es auch darum, wer am längsten durchhält, ohne die Heizung einzuschalten. Ich habe nicht gewonnen. Seit Weihnachten hatte ich das gute Gefühl, dass wir die Bedrohung der Gasmangellage abgewendet haben.

Die Bundesnetzagentur hat im vergangenen Jahr sehr viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen als sonst. Das lag auch an Ihren zahlreichen TV-Auftritten und Interviews. Was glauben Sie, wie wird diese Behörde jetzt wahrgenommen?
Ich glaube, dass bei den Menschen hängengeblieben ist: Da gibt es eine zuverlässige Behörde, die Grundbedürfnisse – in diesem Fall Wärme – in den Blick nimmt. Und es gibt eine Bundesregierung, die die Bundesnetzagentur unterstützt und ihr das ermöglicht. Ich habe aber auch von der Industrie gespiegelt bekommen, dass unser Engagement dem Land Sicherheit gegeben hat. Die vollen Speicher sind zum Sinnbild geworden – das war die Kennzahl, auf die ganz viel hinausgelaufen ist. Wir sind zu einer der wichtigsten Versorgungssicherheitsbehörden geworden.

Sie sind Präsident geworden und mussten unmittelbar eine der größten Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte managen. Dafür gab es kein Vorbild, kein Modell. Sind Sie zufrieden mit dem bisherigen Ergebnis?
Zufriedenheit gehört nicht zu meinen Stärken. Mein Blick richtet sich jetzt schon stark auf den nächsten Winter, den wir bestehen müssen. Aber wenn ich erstmal einen Strich drunterziehe, sehe ich: Wir haben LNG-Terminals ermöglicht, wir haben zum Ausbau der Gasnetze beigetragen, wir haben die Gasspeicher befüllt. Wir haben zwei Krisenzentren einsatzbereit gemacht. Wir haben ein enges Netzwerk mit Unternehmensverbänden, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik eingerichtet. Nicht zuletzt gibt es jetzt die Sicherheitsplattform Gas, die Grundlage für schwierige Entscheidungen. Ich glaube schon, dass wir alle zusammen sehr zufrieden sein können mit dem, was wir geschafft haben. Dass wir keine Gasmangellage erlebt haben, hatte viel mit dem Wetter zu tun. Wären wir aber in die Notfallstufe gekommen, wären wir so gut wie irgend möglich darauf vorbereitet gewesen. Das haben wir uns in den letzten Monaten sehr hart erarbeitet.

Die Krise hat eine sehr enge Abstimmung mit der Politik erfordert. Regelmäßig haben Sie sich mit dem Wirtschaftsminister und anderen politisch Verantwortlichen ausgetauscht. Wie hat das geklappt? Gab es manchmal unterschiedliche Auffassungen oder Einschätzungen?
Natürlich gab es die. Aber unterm Strich würde ich sagen, sowohl mit dem BMWK als auch mit dem Kanzleramt hat die Zusammenarbeit gut geklappt. Unsere Expertise wird dort geschätzt. Gleichwohl, und das kennen wir aus der Corona-Krise, unser Blickwinkel zielt auf Versorgungssicherheit. Darum war unsere Tonlage die mahnendere. Andere haben sich schon früher als wir optimistischer geäußert. Aber wir hatten eben auch eine Rolle. Wir waren die vorsichtigste Stimme innerhalb der verschiedenen politischen Verantwortlichen.

Der Winter ist fast vorbei und wir sind nicht in eine Gasmangellage geraten. Können wir uns jetzt alle entspannen? Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben jetzt, Anfang März, immer noch gut 70 Prozent Gas in den Speichern. Das ist historisch ein sehr guter Wert. Der Durchschnitt der vergangenen Jahre lag um diese Zeit bei etwa 30 bis 40 Prozent. Zu den drei schon gebauten LNG-Terminals kommen bis zum nächsten Winter nochmal drei dazu. THE könnte noch effizienter die Gasspeicher füllen, wenn der Markt das nicht alleine tut. Die Vorschläge der Gaskommission sowohl zur besseren Verbraucherinformation als auch zur besseren Unterstützung in der Industrie gehören jetzt wieder auf die politische Tagesordnung. Ein bisschen treibt mich die Sorge um, dass man sich angesichts des nahenden Frühlings von der Gasfrage ab- und sich anderen Themen zuwendet. Und dann sind wir überrascht, dass es plötzlich wieder Herbst ist.

Wir müssen dieses Jahr zum ersten Mal die Speicher ohne russisches Gas befüllen…
Genau. Und wir müssen unseren Verbrauch reduzieren – auch aus Kosten- und Klimaschutzgründen. Es gilt weiter der Dreiklang: Importe diversifizieren, einsparen, einspeichern.

Jetzt, da die ganz akute Krise erstmal unter Kontrolle ist, ist es vielleicht Zeit, weiter in die Zukunft zu denken. Wie stellen Sie sich die Energieversorgung in Deutschland und Europa von morgen und übermorgen vor?
Das Ziel steht mir vollkommen klar vor Augen: Deutschland und Europa müssen ihre Energieversorgung zu hundert Prozent klimaneutral decken. Die Pariser Klimaschutzziele, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auch das Klimaschutzgesetz zeigen den Weg dorthin klar auf. Für mich ist deshalb die spannendste Frage: Was kann die Bundesnetzagentur dazu beitragen, klare Schritte auf dieses Ziel zuzugehen? Wir tun das auf verschiedene Weise. Es gibt eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen dem Gesetzgeber und uns als Regulierungsbehörde. Auch die Unternehmen ziehen oft mit uns am selben Strang – vielleicht nicht immer energisch genug; dann ermutigen wir sie. Aber die Richtung stimmt. Jetzt müssen wir alle die Hemmnisse bei der Digitalisierung, den Fachkräftemangel, die Widerstände bei der Flächenbereitstellung in Angriff nehmen. Da wartet noch sehr viel Arbeit. Meine Überzeugung ist, die Bundesnetzagentur ist einer der Treiber, die Deutschland klimaneutral machen werden.

Ist Wasserstoff auch ein Hebel, an dem die Netzagentur sitzt?
Wir brauchen ein zukunftsfähiges Speichermedium. Das wird wahrscheinlich regenerativer Wasserstoff sein. Auf dem Weg dahin werden wir Fragen klären: Brauchen wir eine Regulatorik auf europäischer Ebene und wenn ja, welche? Wie binden wir die Verantwortlichen ein? Im Netzentwicklungsplan Gas konsultieren wir schon hinsichtlich der Wasserstoffverwendung. Es fehlt hier aber noch an Konzepten. Da muss die Politik einige Entscheidungen treffen, auf denen wir dann aufbauen können. Bei anderen Themen liegen diese Entscheidungen schon vor und wir können jetzt damit arbeiten.

Als wir Sie bei Ihrem Amtsantritt nach Ihren Plänen gefragt haben, haben Sie neben der sicheren Gasversorgung auch den Netzausbau genannt. Außerdem wollten Sie sich den Versorgungslücken im Mobilfunk und der Plattformökonomie widmen. Was ist daraus geworden?
Im Mobilfunkbereich haben wir das Recht auf Internet umgesetzt. Die Kolleginnen und Kollegen aus den entsprechenden Referaten sind gerade dabei, die noch unterversorgten Gebiete zu identifizieren. Wir führen einen Diskurs mit den Telekommunikationsanbietern und geben ihnen die Gelegenheit, von sich aus in den Universaldienst einzusteigen. Am 31. Dezember 2022 ist die Frist für die letzten Versorgungsauflagen abgelaufen. Als nächstes stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Bundesnetzagentur daraus ziehen wird. Finanzielle Strafen sind eine Option. Parallel läuft die Debatte über die nächste Frequenzvergabe. Welches Instrument haben wir hier, um die Qualität des Mobilfunknetzes im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer zu verbessern? Bei der Plattformökonomie warten wir gerade auf die Eckpunkte aus dem BMDV. Der Digital Services Act, also der europäische Rechtsrahmen ist verabschiedet. Jetzt muss eine Behörde ausgeguckt werden, die die Koordination für unser Land übernimmt. Wir sind gespannt, wie sich Minister Wissing entscheidet. Es ist kein Geheimnis, dass die Bundesnetzagentur auf diese Aufgabe gut vorbereitet wäre.

Der Tag des Verbraucherschutzes am 15. März bietet Anlass für eine weitere Frage: Bevor Sie zur Bundesnetzagentur kamen, waren Sie dem Verbraucherschutz verpflichtet. Jetzt müssen Sie auch die Interessen der Industrie und der Politik berücksichtigen. Hat sich Ihre Perspektive auf das Thema verändert?
16 Jahre lang habe ich die Probleme der Menschen mit zu langsamen Postzulieferungen, mit Fake Shops, mit Werbeanrufen, mit Ärger mit Energieverträgen angehört. Ich glaube nicht, dass die Welt jetzt eine andere ist. Richtig ist aber, dass wir uns bei unseren Entscheidungen im Rahmen der Gesetze bewegen müssen. Unsere Position ist nicht so frei wie die der Verbraucherzentralen. Wir haben eine Reihe von inhaltlichen Entscheidungen getroffen, zum Beispiel beim Mobilfunk, bei der Vorbereitung auf die Postgesetznovelle, aber eben auch organisatorische. Wir haben eine neue Unterabteilung gegründet, um unsere Kompetenzen zu bündeln. Wir wollen Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Schlichtungsaufgaben schaffen. Wir haben eine Verbraucherhotline. Es ist mir wichtig, dass wir als Behörde in unserer Verbraucherkommunikation bestmöglich aufgestellt sind. Sie ist neben unseren Aufgaben in der Regulierung und bei der Zuarbeit zu Gesetzen ein ganz wichtiger Eckpfeiler.

Vielen Dank für das Gespräch.

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