Sa­gen Sie drei­mal schnell hin­ter­ein­an­der "In­te­r­ope­ra­bi­li­tät"

Sie merken: es ist kompliziert. Was hinter dem Wortungetüm steckt und warum es uns alle betrifft.

Interoperabilität

Den Beiden bleibt jetzt noch, sich einfach anzurufen oder über die gute alte SMS miteinander in Kontakt zu treten. Das wird Vielen umständlich und nicht zeitgemäß erscheinen. Die Lösung könnte Interoperabilität heißen, das heißt also anbieterübergreifende Kommunikation. Die EU möchte sie in ihrem Digital Markets Act (Gesetz über Digitale Märkte) verankern. Ziel ist allerdings nicht nur der höhere Komfort für die Nutzerinnen. Es geht auch darum, die übermächtige Dominanz einiger weniger Dienste aufzubrechen und damit den Wettbewerb zu fördern. Laut einer Erhebung der Bundesnetzagentur nutzen 93 Prozent der befragten Messengernutzer WhatsApp. Auf Platz zwei folgt mit 39 Prozent der Facebook-Messenger, der ebenfalls zum Meta-Konzern gehört. Diese Konzentration lässt sich mit so genannten Netzwerkeffekten erklären: Je mehr Menschen den gleichen Dienst nutzen, umso mehr können sich gegenseitig erreichen und untereinander kommunizieren.

Messengerdienste funktionieren internetbasiert und bieten Funktionen, auf die heute kaum noch jemand verzichten will: Sprach- und Bildmitteilungen, Gruppenchats, (Video-)Telefonie und mehr. Längst haben sie sich etabliert und die gesamte Telekommunikationsnutzung verändert. Wenn nun aber die Kunden so eindeutig bei nur einem Konzern konzentriert sind, ist das schwer mit dem europäischen Verständnis von fairem Wettbewerb zu vereinbaren. „Gatekeeper“ nennt man die riesigen Tech-Konzerne auch, was übersetzt etwa Torwächter oder Türsteher bedeutet. Gemeint ist, dass Meta, Amazon, Google usw. durch ihre übergroße Dominanz den Markt und damit den Wettbewerb in bedenklicher Weise beeinflussen. Sie diktieren die Regeln wie der schwere Mann am Eingang zum Club. Die Gefahr, diese Macht zu missbrauchen, ist hoch; insbesondere Meta steht für seinen laxen Umgang mit dem Datenschutz in der Kritik.

Warum also nicht einfach ein Gesetz schreiben, dass die Anbieter zu Interoperabilität verpflichtet? Die Befürworter erhoffen sich davon verschiedene Effekte. Alternativen, kleineren Anbietern würde der Marktzugang erleichtert. Die Nutzer hätten eine echte Wahlfreiheit und würden nicht, wie bisher, zähneknirschend das datenhungrige WhatsApp installieren, nur um nicht den Kontakt zu ihrem Freundeskreis zu verlieren. Außerdem könnte Interoperabilität einen Wettbewerb ermöglichen, der nicht um Nutzer, sondern um Funktionen stattfindet. Bei der Frage, welcher Dienst am besten geeignet ist, würde dann nicht mehr die Anzahl der Nutzer im Vordergrund stehen, sondern zum Beispiel, wie bedienerfreundlich er ist oder wie hoch der Datenschutz.

Wie immer, wenn ein Gesetz in den Markt eingreifen soll, gibt es Kritik. Die Gegner argumentieren, dass es ja unkompliziert möglich sei, mehrere Messengerdienste parallel zu nutzen. 73 Prozent der Nutzer tun das auch bereits. Diese Parallelnutzung, Multihoming genannt, ist auch der Grund, warum die meisten Befragten verhalten auf die Idee der Interoperabilität reagieren. Es hat sich eingebürgert, für unterschiedliche soziale Gruppen unterschiedliche Dienste zu nutzen. Der kleinste gemeinsame Nenner der Eltern-Gruppe in der Schule des Kindes ist WhatsApp; aber die Familienmitglieder konnten sämtlichst von Threema überzeugt werden. Ein indirekter Wettbewerbsdruck sei also gegeben, so die Verteidiger des Status quo. Der nächste Kritikpunkt wird immer gern gegen staatliche Vorgaben ins Feld geführt: allzu starre Regeln könnten Innovationen hemmen, der Markt müsse sich von selber entfalten. 58 Prozent der Nutzer befürchten, dass ihre Daten durch Interoperabilität an andere Diensteanbieter gelangen. 88 Prozent wollen selbst darüber entscheiden, ob die Nutzer anderer Messengerdienste sie erreichen dürfen. Auch diese Einwände greifen die Gegner auf. Was die Kundinnen und Kunden wollen und mitmachen, heißt in der Fachsprache Marktakzeptanz. Und ob die bei interoperablen Angeboten gegeben ist, scheint tatsächlich schwer abzuschätzen.

Fest steht, Interoperabilität verpflichtend einzuführen, wird technisch anspruchsvoll sein. Alle Marktteilnehmer müssten im Vorhinein über Änderungen informiert werden, um sie nutzen zu können. Und wer die neueste Version nicht installiert, kann nicht mit den Nutzern anderer Anbieter in Kontakt treten. Ein weiteres Stichwort, ohne das man bei dem Thema nicht auskommt, ist die Standardisierung. Sowohl die Übertragung, die einzelnen Funktionen und die dafür notwendigen Schnittstellen, als auch die Datenformate zum Austausch von Informationen müssen standardisiert, also in eine einheitliche Form gebracht werden. Bei E-Mail-Diensten funktioniert das schon lange so, und auch im Bereich der Messengerdienste wäre es möglich.

Besonders in Deutschland ist der Datenschutz immer wieder ein heiß diskutiertes Reizthema. Datenschutz meint, wie der Anbieter mit personenbezogenen Daten umgeht. Seine Gewährleistung gestaltet sich in der Tat komplex. Anbieter haben unterschiedliche Datenschutzstandards. Kritiker befürchten, Interoperabilität könnte das Niveau insgesamt absenken. Gleiches gilt für Verschlüsselungsverfahren. Hier wären wir beim Thema Datensicherheit, also: wie verhindert man unbefugtes Eindringen in ein System, vor allem durch Hacking und Abhören? Befragte Anbieter halten beide Probleme auf der technischen Ebene für lösbar.

Datenverarbeitung durch Dritte entzieht sich durch Interoperabilität der Kontrolle durch den Anbieter und den Nutzer. Grund dafür ist, dass Daten zwischen allen beteiligten Anbietern ausgetauscht werden müssen. Im schlimmsten Fall könnte sich die dominante Stellung der wenigen Anbieter noch verstärken, weil ihnen der Zugang zu noch mehr Daten gewährt wird. Messengerdienste sind internetbasiert, funktionieren also global. Und hier liegt schon das nächste Problem: welche Nutzeridentifizierungsmerkmale werden dann zu den einheitlichen? Welche personenbezogenen Daten nutzt man zur Identifizierung und wie soll dem Wunsch der Nutzer nach Anonymität entsprochen werden?

Standardisierung und Regulierung könnten diese Probleme lösen. Auch eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wäre hierdurch prinzipiell möglich; dafür müssten aber alle Anbieter die Vorgaben befolgen. Anders gesagt: es müsste eine Stelle geben, die die Vorgaben konsequent durchsetzt und Übertretung ahndet.

Damit lägen also die PROs und KONTRAs auf dem Tisch. 18 Monate haben die drei Institutionen der EU – Kommission, Rat und Parlament – nach einer gemeinsamen Linie für den Digital Markets Act gesucht. Das Gesetz soll einen fairen Wettbewerb der Internetplattformen ermöglichen, die Macht der Gatekeeper brechen; ein Jahr nachdem es in Kraft tritt, sollten nun die Messenger der Gatekeeper interoperabel werden. Der Kompromiss ist, dass der Austausch zwischen den Diensten anfangs nur in der Eins-zu-eins-Kommunikation funktioniert, also von einem Menschen zu einem anderen. Drei Jahre haben die Marktbeherrscher nun Zeit, auch Gruppenchats interoperabel zu machen. Das Gesetz gilt nämlich nur für die ganz Großen wie WhatsApp. Den kleineren wie Signal, Threema oder Telegram bleibt es überlassen, ob sie sich der Konkurrenz öffnen wollen.

Sollte sich ein Gatekeeper-Konzern weigern, die neuen Regeln zu akzeptieren, muss er mit saftigen Strafen rechnen. Genannt werden Strafzahlungen in Höhe von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, bei wiederholten Verstößen sogar zwanzig. Im Juli muss das Europäische Parlament den Digital Markets Act in seiner finalen Form noch bestätigen. 2024 könnte er dann seine Wirkung entfalten.

Als nächstes wird die Europäische Kommission die Details ausarbeiten, da sie für die Umsetzung zuständig ist. Die Bundesnetzagentur ist vorbereitet und steht bereit, bei diesem Prozess zu beraten. Sie ist nicht nur die Regulierungsbehörde, sondern sieht sich auch dem Verbraucherschutz verpflichtet.

Mehr Infos gibt es hier: www.bundesnetzagentur.de/online-kommunikation

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