"Al­le soll­ten sich an den Kos­ten für die Ener­gie­wen­de be­tei­li­gen"

Interview mit Vizepräsidentin Haller zum Umbau der Netzentgelt-Regulierung

Die Bundesnetzagentur passt die Regulierung der Netzentgelte der neuen Zeit an. Der Prozess lebt von Beteiligung und Diskussion.

Bei den Strom- und Gasnetzen haben wir es ja mit so genannten „natürlichen Monopolen“ zu tun. Es gibt unter ihnen keinen Wettbewerb. Beließe man es einfach dabei, wäre das schlecht für die Verbraucher. Deshalb reguliert die BNetzA die Netzentgelte und sorgt für freien Netzzugang. Das war ja bisher schon so. Was wird jetzt anders – und warum?
Haller: "Es gibt seit einiger Zeit einen neuen Rechtsrahmen. Alles, was bisher Verordnungen waren, müssen wir jetzt in Festlegungen überführen. Das heißt, wir untersuchen jede Regelung noch einmal. Wir überlegen, ob sie angemessen ist oder ob wir sie ändern müssen. Nun sind wir also zu der Erkenntnis gelangt, dass wir einige alte Regelungen ändern müssen. Das diskutieren wir breit in vielen Workshops, mit Expertinnen und Experten, mit Vertreterinnen und Vertretern der Netzbetreiber und der anderen vielen Interessengruppen. Unsere Aufgabe als Bundesnetzagentur ist, Regelungen zu treffen, die zu den neuen Bedingungen passen. Wir erleben ja eine Transformation des Energiesystems. Dem wollen wir gerecht werden. Auf der Seite der Netzbetreiber wie der Netznutzer."

Netze. Effizient. Sicher. Transformiert. Oder kurz: der NEST-Prozess. Der wohl umfassendste Umbau des Regulierungsrahmens der letzten Jahre läuft jetzt seit anderthalb Jahren. Können Sie zusammenfassen, was sein Ziel ist?
Haller: "Es sind eigentlich drei Ziele: Für die Netzbetreiber wollen wir zunächst, dass sie weiter in die Netze investieren. Das ist im Sinne der Energiewende. Dann müssen wir gleichzeitig möglichst Kosteneffizienz erreichen. Jeder Euro soll so gut wie möglich eingesetzt werden. Und: Der Netznutzer soll dann etwas davon haben. Also, die Unternehmen sollen effizienter arbeiten, und die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Wirtschaft sollen auf Seiten der Netzentgelte entlastet werden. Das ist das zweite Ziel. Außerdem wollen wir vereinfachte Regelungen. Wir haben ein Regulierungssystem, das sich über die Jahre immer weiter aufgebläht hat, vergleichbar vielleicht mit dem Steuerrecht. Es ist viel Bürokratie geworden. Das schichten wir ab, indem wir Pauschalen einziehen und somit bestimmte Dinge nicht mehr so detailliert prüfen müssen."

Was wird nicht mehr geprüft?
Haller: "Wir werden nicht mehr im Einzelnen prüfen, wie die Verteilung auf Eigenkapital und Fremdkapital ist. Wir geben nur noch eine Gesamtverzinsung vor. Das spart bürokratischen Aufwand und nutzt dem Netzkunden, wenn er dadurch weniger Netzentgelte zahlt. Aber natürlich führt jede Pauschalierung dazu, dass Einzelfälle nicht so genau abgebildet werden. Das sorgt auch für Kritik. Bürokratieabbau hört sich immer schön an. Wenn man das dann wirklich macht, fühlen sich manche Beteiligte benachteiligt. In dieser Diskussion befinden wir uns gerade."

Was zeichnet den NEST-Prozess besonders aus? Was unterscheidet ihn von anderen Festlegungsverfahren?
Haller: "Wir arbeiten anders. Wir haben die Diskussion sehr früh begonnen. Und wir sind nicht mit konkreten Regelungen in den Prozess gegangen, sondern auf jedem Themengebiet mit sehr offenen Fragen und einer eher grob umrissenen Leitidee. Wir haben Experten und Wissenschaftlerinnen zugehört und daraus Schlüsse gezogen. Einiges war am Anfang der Diskussion anders als es zum jetzigen Stand geplant ist. Wir haben uns inhaltlich bewegt, sind schlauer geworden. Und dank dieses Erkenntnisgewinns haben wir einige unserer geplanten Regelungsinhalte angepasst und verbessert."

Viele stellen sich vielleicht bei dieser Art von Prozess solche Hinterzimmerabsprachen vor. Da sitzen dann die Entscheider aus der Behörde mit den Lobbyisten zusammen und klüngeln irgendwas Undurchsichtiges aus. Sie sprechen jetzt aber viel von Beteiligung. Was ist das denn für ein Format?
Haller: "Es ist immer noch so, dass wir mit Verbänden reden, aber nicht mit einzelnen Unternehmen. Das machen wir auch nicht bei geschlossener Tür. Das sind Austauschveranstaltungen, bei denen sich jeder per Videokonferenz zuschalten kann. Und klüngeln ist ohnehin keine Option – wir werden jede unserer Festlegungen vor Gericht vertreten müssen."

Jeder? Könnte ich das auch tun?
Haller: "Ja, jede und jeder. Es gibt Formate, da können alle mitdiskutieren. Bei anderen kann man nur zuhören und Fragen im Chat stellen. Die werden moderiert. Je nach Thema haben wir häufig hunderte Teilnehmende. Oder bei „Feinschmecker“-Themen auch mal weniger. Transparent ist es aber immer."

Jetzt haben wir darüber gesprochen, was die Netzbetreiber künftig verdienen dürfen. Aber woher kommt überhaupt das Geld? Wer bezahlt das? In dem Verfahren namens AgNes geht es um Netzentgelte, also das Geld, das die Verbraucherinnen und Verbraucher für ihre Netznutzung zahlen. Sie machen etwa ein Drittel des Strompreises aus. Wenn ich es richtig verstehe, fehlen die Anreize, Strom dort zu erzeugen oder zu verbrauchen, wo es für das Netz am günstigsten ist. Wie will die BNetzA das ändern?
Haller: "Mit den Kosten für den Netzbetrieb befassen wir uns im NEST-Prozess. Diese Kosten müssen aber natürlich über die Netzentgelte von den Netznutzern bezahlt werden. Und wir brauchen eine angemessene, auch tragfähige Verteilung der Belastung. Das führt direkt zu der Frage, wer überhaupt die Entgelte bezahlt. Das System der Netzentgelte ist Jahrzehnte alt. Es passt nicht mehr zu den Zielen und Bedingungen von heute. Damals hatten wir sehr große Erzeuger an zentralen Stellen, fossile Kraftwerke vor allem. Es waren viel weniger Akteure am Energiemarkt. Jetzt sind viele, auch private Verbraucher gleichzeitig Erzeuger, weil sie eine PV-Anlage auf ihrem Dach haben. Oder einen Speicher. Viele Industrieunternehmen betreiben ihre eigenen Anlagen mit auf ihrem Grundstück. Dazu kommt, dass wir nicht an jedem Anschlusspunkt einfach nur einen Abnehmer haben. Stattdessen gibt es Punkte, bei denen sowohl abgenommen als auch gespeichert und ebenso eingespeist wird. Strom muss heute auch ganz anders transportiert werden. Vor allem muss die Windenergie vom Norden in den Süden. Die Netzbelastung hat sich stark verändert. Darauf muss das System der Entgelte reagieren. Verbrauch und auch Einspeisung können dem Netz schaden oder ihm nutzen. Zum Beispiel Betreiber großer Windparks: Deren Umgang mit dem Netz hat ja spürbare Folgen. Und hier brauchen wir die richtigen Anreize. Denn im Sinne des Gesamtsystems müssen Verbraucher und Erzeuger zukünftig flexibel auf das Preissignal reagieren. Die Entgelte sollen das anreizen, zumindest aber nicht unnötig behindern. Wir wollen, dass die Kunden preissensibel sind. Und das ist man immer nur, wenn es einen selbst etwas kostet. Jeder Erzeuger und jeder Verbraucher sollte wirksame Anreize haben, auf das Preissignal zu reagieren – und über die Netzentgelte auch auf das Netz zu reagieren.
Wichtig ist mir, dass wir bei AgNes noch am Anfang der Diskussion stehen. Wir wollen unser Meinungsbild in zukünftigen Veranstaltungen weiter schärfen."

Wir bleiben noch beim Geld: Wer eine private PV-Anlage installiert hat, bekommt üblicherweise für jede eingespeiste Kilowattstunde eine Einspeisevergütung. Für Viele ein Grund, in die klimafreundliche Solarenergie zu investieren. Nun gibt es eine Diskussion darüber, ob auch diese Einspeiser Netzentgelte zahlen sollen. Rechnen Sie nicht mit heftigem Widerstand?
Haller: "Ja. Andererseits führt die heutige Regelung auch zu Widerstand bei denen, die jetzt schon zahlen. Die sind nämlich sehr belastet durch die steigenden Netzentgelte. Wir haben als Bundesnetzagentur nicht nur die im Blick, die belastet werden könnten. Genauso schauen wir auf die, die entlastet werden könnten."

Und wer ist das?
Haller: "Wer derzeit Netzentgelte für den Strombezug zahlen muss, der würde entlastet werden, wenn sich zukünftig auch andere Netznutzergruppen an den Entgelten beteiligen. Ich mache mal ein Beispiel aus dem echten Leben: Angenommen, wir entlasten nur die flexiblen Verbraucher wie die große Industrie oder Betreiber von Speichern und Produzenten von erneuerbarem Strom, und wir entlasten Kraftwerke an bestimmten Standorten: Wenn all die priorisiert sind, dann zahlt irgendwann fast niemand mehr. Als einziger übrig bleibt ein komplett unflexibler Verbraucher. Jemand, der vielleicht in einem Mehrfamilienhaus in der Innenstadt wohnt. Der hat keine Möglichkeit, selbst Photovoltaik auf dem Dach oder einen Speicher im Keller zu installieren und damit zu sparen. Er trägt dann einen immer weiter zunehmenden Anteil der Netzkosten. Und dann ist er sehr wahrscheinlich auch nicht finanziell am stärksten aufgestellt. Dieser Fall könnte eintreten, wenn wir jetzt alles einfach so weiterlaufen lassen würden. Das wollen wir nicht. Was wir wollen, ist eine angemessene Beteiligung aller. Und deshalb diskutieren wir darüber. Das heißt nicht, dass sich die private PV-Anlage nicht mehr lohnt."

Sondern?
Haller: "Das heißt, dass die Netzkosten auf mehr Schultern verteilt würden. Wir versuchen, diese Kosten so gering wie möglich zu halten. Das haben wir ja anfangs besprochen. Aber die Kosten, die es gibt, sollen nicht allein bei Leuten hängenbleiben, die nichts dagegen tun können. Die Erzeuger brauchen das Netz ja auch und sind Teil der Solidargemeinschaft. Und sie können auf Signale aus dem Netz reagieren. Je nachdem, ob es dem Netz dient oder nicht, können sie erneuerbare Energie einspeisen. Wenn eine Überlastung droht, braucht es nicht noch mehr Einspeisung ins Netz, sondern zum Beispiel in den eigenen Speicher. Der Strom kann später verwendet werden."

Das Zauberwort lautet offenbar Flexibilität. Flexibel einspeisen, speichern, verbrauchen, zahlen. Aber braucht es dafür nicht sehr viel mehr Technologie? Smart Meter? Batteriespeicher? KI-basierte Geräte? All das kostet Geld. Wie wollen Sie das vermitteln?
Haller: "Wir haben uns auf die Energiewende verständigt. Wir brauchen sie. Und es wäre falsch zu sagen, dass immer nur alle profitieren. Der Umbau kostet Geld. Aber es muss so laufen, dass man mit diesen Investitionen am Ende auch Geld verdienen kann. Das geht, wenn man sich flexibel verhält. Das liegt vor allem daran, dass wir zu bestimmten Zeiten unfassbar günstigen Strom haben. Manchmal sogar negative Strompreise. Dieses System können Private und Industrie für sich nutzen."

In welchem Zeithorizont spielt sich das alles ab? Was Sie ansprechen – Speicher, Smart Meter usw. – ist ja noch gar nicht im großen Stil verfügbar.
Haller: "Das neue System wird ab dem Jahr 2029 stufenweise eingeführt. Bis dahin wird viel passieren. Die Speicher- und Batterietechnologie entwickelt sich rasant. Es wird ein viel breiteres Angebot intelligenter Lösungen für die Verbraucher geben. Und die Lieferanten, die die Kunden versorgen, werden sich auf die Situation einstellen. Wir Private müssen uns nicht aktiv darum kümmern. Die Stadtwerke oder andere Versorger werden nicht nur Energie liefern, sondern auch beraten. Alle Akteure werden sich mehr Energiewendekompetenz aneignen und mit Dienstleistungen Geld verdienen wollen. Die erneuerbaren Energien werden besser ins System integriert werden. Und dann werden alle mit einem effizienten, klimafreundlichen, sicheren und transformierten Stromsystem belohnt. Daran arbeitet die Bundesnetzagentur."

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Haller.

Barbie Haller ist Vizepräsidentinder Bundesnetzagentur, zuständig für den Bereich Energie.
Weitere Informationen zum
NEST-Prozess
AgNES-Prozess

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