Herumstreifen wie zu Hause
Wie Roaming das Leben in Europa verändert hat
Wer – sagen wir zu Beginn des Jahrtausends – aus dem Sommerurlaub an der spanischen Costa Brava zu Hause anrufen wollte, hatte es nicht leicht. Oftmals brauchte man einen öffentlichen Münzfernsprecher, dann genügend Kleingeld in der fremden Währung. „Wie ist das Wetter in Braunschweig? Regen? Ach, schade. Ja, hier ist es heiß. Ja, ich schreib Oma eine Postkarte…“ Während dieser wenigen Worte ratterten die Einheiten durch. Reichten die gewechselten Münzen noch, um von der besten Paella der Welt zu erzählen?
Das ist lange vorbei. Inzwischen gibt es Tablets und Smartphones. Der Euro hat Peseten, Francs und Gulden ersetzt. Doch obwohl Europa immer mehr zusammenwuchs, blieben die Gebühren fürs Telefonieren, Nachrichten schreiben und Surfen im Internet im Ausland noch lange Zeit hoch. Erst 2007 beschloss die EU-Kommission zum Schutz der VerbraucherInnen eine Höchstgrenze für Roaminggebühren im EU bzw. EWR-Raum. Wer aus dem Ausland nach Hause telefonierte, zahlte maximal 49 Cent pro Minute; wer angerufen wurde maximal 24 Cent, zuzüglich der jeweiligen Mehrwertsteuer. Das war ein Durchbruch, auch wenn diese Summen aus heutiger Sicht wahrscheinlich bei den meisten Jüngeren ein verständnisloses Kopfschütteln hervorrufen.
Bis 2012 sank die Preisobergrenze Schritt für Schritt. Es lag nahe, die Gebühren in einem grenzenlosen Europa ganz abzuschaffen. Und zwar nicht nur für Telefonate, sondern auch für Kurznachrichten und mobile Daten. Im Sommer 2017 war es schließlich so weit. Nahezu alle Roaming-Zuschläge innerhalb der heutigen 27 EU-Länder fielen weg. Von nun an galt „Roam like at home“, im europäischen Ausland zahlten Europäerinnen und Europäer also genauso viel für die Mobilfunknutzung wie im Heimatland. Oder anders gesagt: Der gesamte EU/EWR-Bereich gilt seitdem als Inland. „Roam“ – das wissen vielleicht nicht alle – heißt so viel wie schlendern, streunen, herumstreifen. Und genau das ist es. Man schlendert durch die Länder der Europäischen Union und kommuniziert, ohne sich weiter Gedanken über zusätzliche Gebühren zu machen. Beim Grenzübertritt bekommt man eine Willkommens- SMS des heimischen Anbieters mit umfassenden Informationen zur weiteren Mobilfunknutzung. Die ausführliche Nachricht besagt vor allem: es bleibt alles wie zu Hause. Wer weiß, ob man ohne sie überhaupt merken würde, dass man ein anderes Land betreten hat?
Die Verbesserungen im Detail
Die Regeln zum International Roaming sind in der europäischen Roaming-Verordnung festgehalten. Sie besagt auch, dass die EU-Kommission die Verordnung ständig prüfen und dem Rat sowie dem Parlament berichten muss, ob und wie gut Roaming in der Union funktioniert. Die aktuellen Regelungen der Verordnung laufen zum 30.6.2022 aus. Die neue Fassung, die anschließend und pünktlich zum Beginn der Urlaubssaison am 01.07.2022 gilt, hält weitere Verbesserungen für VerbraucherInnen bereit. So viel darf man sagen: Kundinnen und Kunden werden noch mehr profitieren.
Bisher bezog sich Roaming auf die Preise, nicht aber auf die Bedingungen. Ab diesem Sommer wird es so sein, dass auch die Qualität, d.h. im Wesentlichen die Mobilfunktechnik im ausländischen Netz die gleiche wie zu Hause sein soll. Dies sichern die Anbieter vertraglich zu, sofern die gleiche Mobilfunktechnologie im besuchten Netz verfügbar ist. Wer zu Hause gewohnt ist, 5G zu nutzen, hat darauf auch woanders Anspruch. Das Versprechen „Roam like at home“ erfüllt sich also vollumfänglich.
Ein anderer wichtiger Punkt: Anbieter haben nun die Pflicht, ihre Kundinnen und Kunden bei der Einreise in andere Mitgliedstaaten vor dem Risiko zusätzlicher Gebühren zu warnen. Hier geht es um die so genannten Mehrwertdienste, also zum Beispiel 0180-Nummern. Wer über eine telefonische Hotline den Flug umbucht oder den Mietwagen verlängert, ist oft auf diese Nummern angewiesen. Die Regelung schafft Transparenz, verhindert sie doch den Schrecken beim Blick auf die Telefonrechnung nach dem Urlaub.
Notrufe sind auch und vor allem im Ausland ein Thema. Deshalb hat der europäische Gesetzgeber auch hier nachgebessert: Ebenfalls bei der Einreise erhält man eine SMS mit Hinweisen zu alternativen Notrufen, zum Beispiel für Gehörlose. Außerdem ist in dieser Nachricht ein Link zu finden, der auf eine Notruf-App verweist. Was in Deutschland die WarnApp NINA ist, gibt es auch in anderen Ländern. Sie informieren rechtzeitig über extreme Wetterlagen wie Starkregen und Wirbelstürme und ermöglichen einen schnellen Notruf. Wer das weiß und für die Dauer des Aufenthaltes im Ausland eine solche App installiert, lebt ohne Frage sicherer. Es dauert allerdings noch bis sämtliche Notrufdienste in der Europäischen Union in einer Datenbank zusammengetragen sind. Deshalbgilt diese Informationspflicht erst ab dem 01.06.2023.
Obwohl es sich um die europäische Roaming-Verordnung handelt, ist für Reisende, die außerhalb der EU unterwegs sind, noch etwas entscheidend: Der „Kostenairbag“ schützt vor unerwarteten Roaming-Aufschlägen bei der mobilen Internetnutzung weltweit. Um einen Schock beim Erhalt der Rechnung zu verhindern, müssen Mobilfunkanbieter ihre Kundinnen zukünftig zweimal warnen. Zum ersten Mal passiert das bei der automatischen Preisgrenze von 50 Euro, zum zweiten Mal bei 100 Euro (jeweils zuzüglich MwSt.). Ist die zweite Obergrenze erreicht, wird die Roaming-Datennutzung beendet. Die Datenverbindung bleibt unterbrochen, solange man nicht aktiv wird. Der Roaming-Anbieter sendet Informationen ans Endgerät und informiert über Preise für die Weiternutzung. Wer möchte, kann mit dem Wissen um die zusätzlichen Gebühren sein Einverständnis zur weiteren Nutzung erklären und so weitersurfen.
Das ist auch deshalb bedeutsam, weil hier eine europäische Verordnung einen Schutz im nicht-europäischen Ausland garantiert. Ähnlich transparente Maßnahmen gelten in Häfen und Flugzeugen. Man stelle sich folgende Szene vor: Das Kreuzfahrtschiff steht im Hafen von Barcelona. Die Touristin glaubt, mit dem spanischen Mobilfunknetz verbunden zu sein. In Wirklichkeit verbindet sich das Smartphone jedoch mit dem Bordnetz, weil es stärker ist. Der Haken daran ist, dass die Nutzung eines Satelliten gestützten Netzes an Bord eines Schiffes wesentlich teurer ist. Auch hier gibt es nun eine Warnung, und zwar schon bevor das Smartphone oder Tablet eine Verbindung mit einem Satellitennetz herstellt. Wo es keine Kabel gibt, braucht es nicht-terrestrische Netze. Das mag in manchen Fällen sinnvoll sein, die unerwartet hohen Gebühren wohl nicht.
Schließlich kommt es auch immer mal wieder vor, dass man sich auf Reisen in Grenznähe zu anderen Staaten unbeabsichtigt mit dem Mobilfunknetz des Nachbarstaates verbindet. Damit auch hier keine unerwarteten Rechnungen drohen, sollen die Mobilfunkunternehmen nun Schritte unternehmen, um unbeabsichtigtes Roaming zu verhindern.
Das ist die Rolle der Bundesnetzagentur
Damit die Regelungen der Roaming-VO eingehalten werden, beaufsichtigen die nationalen Regulierungsbehörden die Einhaltung der Vorschriften. In Deutschland hat die Bundesnetzagentur die Aufgabe, die Verordnung zu überwachen und durchzusetzen. Erhebt ein deutscher Roaming-Anbieter unberechtigterweise zusätzliche Roaming-Gebühren oder bietet zum Beispiel bewusst nicht die gleiche Qualität im in- und ausländischen Netz an, greift die Bundesnetzagentur ein. Bei Verstößen können dem Anbieter Buß- und Zwangsgelder drohen.
Darüber hinaus steht der Verbraucherservice der Bundesnetzagentur den VerbraucherInnen mit Rat und Tat zur Seite. Sollten beispielsweise nach dem nächsten Aufenthalt in einem anderen Land der Europäischen Union unerklärliche Roaming-Gebühren in der Rechnung auftauchen oder eine Roaming-Beschwerde beim Mobilfunkanbieter erfolglos verlaufen sein, kann der Kontakt mit unseren KollegInnen vom Verbraucherschutz empfehlenswert sein.
Aber nicht nur national ist die Bundesnetzagentur mit Blick auf das Roaming in der Union aktiv, sondern auch international. Die Regulierungsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten erstellen Leitlinien, damit die Roaming-Regelungen europaweit funktionieren. Die Leitlinien, die in der Roaming- Verordnung fest verankert sind, schreibt das Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Im Englischen: Body of European Regulators for Electronic Communications oder kurz BEREC). Mitglieder dieser Gruppe sind die Regulierungsbehörden der EU-Staaten sowie Liechtenstein, Island und Norwegen. Die Bundesnetzagentur beteiligt sich aktiv, indem sie an diese Leitlinien mitentwickelt und mitschreibt. Obwohl die Leitlinien keine eigentlichen Gesetze sind, müssen sich alle Roaming-Anbieter an die vereinbarten Grundsätze halten. Dies gilt aber genauso für die Regulierer.
Darüber hinaus beobachten die einzelnen Regulierungsbehörden – in Deutschland die Bundesnetzagentur – den Roaming-Markt genau. Sie sammeln Daten von den Mobilfunkanbietern sowie Erkenntnisse und Erfahrungen mit Unternehmen und Kunden. BEREC wiederum bündelt diese und erstellt fortlaufend Berichte über die in den Mitgliedstaaten gesammelten Daten. So bleibt fortlaufend sichtbar, wie gut das Roaming in der Union funktioniert. Damit unterstützt BEREC die Europäische Kommission bei der turnusmäßigen Überprüfung. Wenn es erforderlich ist, kann sie dann die Roaming-Verordnung überarbeiten. Letztlich dienen die Regeln dazu, den Alltag aller Menschen in der Europäischen Union zu vereinfachen.
Gestern und heute
Anfang der 2000er Jahre hat es vielleicht gereicht, einmal während des dreiwöchigen Urlaubs zu Hause anzurufen. Das ist heute völlig anders. Wir sind es gewohnt, permanent online zu sein. Wir buchen den Mietwagen vor Ort online, lassen uns von Apps den Weg zum Museum erklären und lesen uns im digitalen Lexikon über Sehenswürdigkeiten ein, bevor wir sie gesehen haben. Statt Postkarten verschicken wir in Echtzeit Fotos vom Strand und rezensieren ihn auf Social Media. Wir shoppen kurz im Summer-Sale, damit das Paket zu Hause auf uns wartet. Wir lassen uns vom Smartphone ein Restaurant empfehlen, dorthin navigieren und die Speisekarte übersetzen. Der Begriff „Datenhunger“ liegt hier nahe. Und der ist unermesslich. Nicht auszudenken, all diese Klicks und generierten Bytes würden wie früher mit zusätzlichen Roaming-Aufschlägen abgerechnet. Und die Telefonzelle wünschen sich wahrscheinlich auch die wenigsten zurück. Deshalb ist es gut, dass es in Europa „Roam like at home“ gibt.
Details zur Verordnung und die Ausnahme finden Sie übersichtlich zusammengestellt im Verbraucherportal der Bundesnetzagentur:
Weitere Infos gibt es hier: www.bundesnetzagentur.de/rlah.