BK6-20-298
Überprüfung der Ausnahme von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung der nicht frequenzgebundenen Systemdienstleistung „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ (BK6-20-298)
Hintergrund
Mit der Entscheidung BK6-20-298 vom 18.12.2020 hat die Beschlusskammer eine Ausnahme von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung der nicht frequenzgebundenen Systemdienstleistung (nfSDL) „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ festgelegt. Zum Zeitpunkt der erlassenen Ausnahmeentscheidung lagen der Beschlusskammer keine Erkenntnisse vor, die eine wirtschaftliche Effizienz einer marktgestützten Beschaffung der genannten nfSDL begründeten. Die getroffene Entscheidung ist gemäß § 12h Abs. 4 Satz 3 EnWG spätestens alle drei Jahre zu überprüfen.
Ergebnis der Überprüfung gemäß § 12h Abs. 4 Satz 3 EnWG
Die Beschlusskammer hat die für die nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ erlassene Ausnahme von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung einer Überprüfung gemäß § 12h Abs. 4 Satz 3 EnWG unterzogen. Bei dieser Überprüfung wurde die gesetzlich vorgesehene Frist von drei Jahren eingehalten: Mit Datum vom 29.09.2023 hat die Bundesnetzagentur ein Festlegungsverfahren zur marktgestützten Beschaffung der „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ eingeleitet und öffentlich konsultiert (Aktenzeichen BK6-23-010). Bestandteil dieser Verfahrenseinleitung war die Ausnahme von der marktgestützten Beschaffung der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ betreffend die Spannungsebene der Niederspannung und die Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung. Im Laufe des Festlegungsverfahrens BK6-23-010 hat die Beschlusskammer festgestellt, dass zwar weiterhin Teilausnahmen von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung erforderlich sind, sich diese jedoch inhaltlich anders gestalten müssen als zunächst konsultiert. Im Ergebnis hat sich herausgestellt, dass die Ausnahmefestlegung aus dem Jahr 2020 bestehen bleiben muss hinsichtlich
gegebenenfalls auch nur lokale, Überschreitung von Grenzwerten der Frequenzhaltung,
die für die Netzstabilität kritisch sein kann, zu verhindern,
der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“.
a) Fortbestand der Ausnahme der regelungstechnisch umgesetzten Reaktion auf ein Wirkleistungsungleichgewicht von der marktgestützten Beschaffung
Die Ausnahme von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ wird aufrechterhalten, soweit sie die regelungstechnisch umgesetzte Reaktion auf ein Wirkleistungsungleichgewicht betrifft. Nach den Gesetzgebungsmaterialen meint „Trägheit der lokalen Netzstabilität“
um eine, ggf. auch nur lokale, Überschreitung von Grenzwerten der Frequenzhaltung, die für
die Netzstabilität kritisch sein kann, zu verhindern. […] Unter die regelungstechnisch umgesetzte Reaktion
fallen regelungsbasierte Wirkleistungsänderungen, welche verzögert zur Stützung der Frequenz beitragen.
Davon abzugrenzen ist Regelleistung“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). (BT-Drs. 19/21979, S. 14)
Für eine marktgestützte Beschaffung der regelungstechnisch umgesetzten Reaktion besteht nach gegenwärtiger Kenntnis der Beschlusskammer kein Bedarf. Die regelungstechnisch umgesetzte Reaktion trägt erst mit zeitlicher Verzögerung zur Stützung der Frequenz bei und würde im Falle einer Netzauftrennung „zu spät“ wirken. Im Übrigen bestätigen auch die ÜNB, dass nach ihren Analysen zukünftig keine zusätzlichen Systembedarfe für eine schnelle frequenzabhängige Wirkleistungsregelung bestehen. Dies ist nach Aussage der ÜNB vor allem darauf zurückzuführen, dass gemäß den aktuell gültigen Netzanschlussbedingungen alle Erzeugungsanlagen sowie zukünftig auch alle regelbaren Lasten und Speicher dazu verpflichtet sind, sich an der netzsicherheitsbasierten Primärregelung für Unter- (LFSM-U) und Überfrequenz (LFSM-O) sowie dem Lastabwurf zu beteiligen. Diese Maßnahmen sind nach Ansicht der ÜNB nach aktuellem Kenntnisstand auch in Zukunft ausreichend wirksam, um sowohl normalbetriebliche Störungen als auch Großstörungen zu beherrschen. Dies setze voraus, dass zum einen ausreichend Momentanreserve vorhanden sei, um den Frequenzgradienten (RoCoF) auf 1 Hz/s zu begrenzen sowie die vorgesehenen Änderungen in den „Requirements for Generators“ (RfG) und dem „Demand Connection Code“ (DCC 2.0) konsequent umgesetzt würden. Vor diesem Hintergrund sehen auch die ÜNB aktuell keine Notwendigkeit einer marktgestützten Beschaffung einer regelungstechnisch umgesetzten Reaktion auf ein Wirkleistungsungleichgewicht. Infolge der genannten Punkte wird die Ausnahme von der marktgestützten Beschaffung insoweit bestätigt.
Für die inhärente und unverzögerte Reaktion auf ein Wirkleistungsungleichgewicht (Momentanreserve) als Bestandteil der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ wurde im Verfahren BK6-23-010 mit Beschluss vom 22.04.2025 die Verpflichtung der ÜNB zur marktgestützten Beschaffung ausgesprochen.
b) Fortbestand der Ausnahme der VNB von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“
Die Ausnahme von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ wird aufrechterhalten, soweit sie die Verteilnetzbetreiber betrifft. Dies begründet sich damit, dass es sich bei der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ – entgegen des Wortlauts des § 12h EnWG – um eine frequenzbezogene Systemdienstleistung handelt. Bereits nach den Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren begrenzt die „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ „den Frequenzgradienten im Ursprung“ und dient dazu „eine, ggf. auch nur lokale, Überschreitung von Grenzwerten der Frequenzhaltung, die für die Netzstabilität kritisch sein kann, zu verhindern“ (BT-Drs. 19/21979,
S. 14). Sie ist damit nach dem Willen des Gesetzgebers, vor allem aber auch physikalisch zwingend frequenzbezogen.
Die Verantwortung für die als „Leistungs-Frequenz-Regelung“ bezeichnete Ausregelung der Netze obliegt den vier regelzonenverantwortlichen ÜNB 50Hertz Transmission GmbH, Amprion GmbH, TenneT TSO GmbH und TransnetBW GmbH für ihre jeweilige Regelzone.
Die Netzfrequenz ist in allen miteinander verbunden Netzgebieten synchron – unabhängig davon, ob sie zu einem bestimmten Zeitpunkt beim Sollwert von 50 Hz oder darunter/darüber liegt. Dies gilt auch für unterlagerte Netzebenen. Daher liegt die Systemverantwortung für Frequenzstabilisierungsmaßnahmen ausschließlich in den Händen der ÜNB, welche z.B. auch für das Frequenzhaltungs- bzw.- stabilisierungsprodukt „Regelreserve“ zuständig sind.
Zwar können Einheiten, die im Netz der VNB angeschlossen sind, einen frequenzstützenden Beitrag leisten. Sie können dem ÜNB daher bei der marktgestützten Beschaffung von Momentanreserve angeboten werden. Die Durchführung der marktgestützten Beschaffung obliegt bei der Momentanreserve als frequenzstützender Maßnahme jedoch dem jeweiligen regelzonenverantwortlichen ÜNB. Die ausschließliche Beschaffungszuständigkeit der ÜNB ist dementsprechend bereits in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 12h EnWG niedergelegt: „Die Trägheit der lokalen Netzstabilität ist nur von den Übertragungsnetzbetreibern zu beschaffen.“ (BT-Drs.- 19/21979, S. 15)
Damit hat die erteilte Ausnahme von der Verpflichtung zur marktgestützten Beschaffung der nfSDL „Trägheit der lokalen Netzstabilität“ (BK6-20-298) hinsichtlich der VNB sowie der regelungstechnisch umgesetzten Reaktion auf ein Wirkleistungsungleichgewicht weiterhin Bestand.
Stand: 24.04.2025